Ankunft in ein neues Leben

INGRID LIEZ …

Es ist der 1. November 2019, ich stehe auf dem Frankfurter Flughafen vor „Ankunft D“, mit einem kleinen Strauß rosa Rosen und einem Püppchen in der Hand. Neben mir meine Freunde Mahmoud und sein Bruder Ahmad, beide voller Unruhe. Ahmad hat mit seiner Handykamera ständig die Schiebetür im Blick, durch die seine Schwägerin mit den beiden Kindern kommen muss, er will alles festhalten und keinen Augenblick verpassen.

Also mal ehrlich – vier Jahre können eine sehr lange Zeit sein, besonders, wenn man darauf wartet, seine Familie wiederzusehen. Im Oktober 2015 kamen die beiden mit dem großen Flüchtlingsstrom nach Deutschland.
Von Syrien aus durch die Türkei mit dem Bus, dann über das Meer im Schlauchboot und anschließend zu Fuß. Mahmoud und Ahmad wollten sich nicht in die syrische Armee zwingen lassen, denn sie sind Palästinenser („Staatenlose“), und diese sind auch in der syrischen Gesellschaft Flüchtlinge, Ausgestoßene. Die Familie wollten sie nicht mitnehmen, denn Mahmouds kleine Tochter war gerade erst geboren.

Es folgten vier schwierige Jahre. Der strapaziöse Anfang mit dem Sprachenlernen, das lange Nichtstun, der Kampf durch den Behördendschungel. Und das in einer fremden Kultur, in einer fremden Umgebung und mittels einer schwierigen Sprache.

Die Mentalität vieler Deutscher wirkte seltsam, kalt, gleichgültig auf sie. Dabei schämen sich Menschen wie Mahmoud dafür, wie sich manche Geflüchtete in Deutschland benehmen, Randale machen, Frauen angrabschen, stehlen oder betrügen.

Das schwere Schicksal der Palästinenser hat ihn geprägt, besonders die Erzählungen des Großvaters, der mit seinen Lieben 1949 aus Palästina vertrieben worden war – mit gerade mal den Kleidern auf dem Leib.
„Die Katastrophe“ nennen die Flüchtlinge dieses Ereignis, bei dem die israelische Armee grausam und blutig durchgegriffen hatte. Geholfen hat ihnen ihr tiefer und unzerstörbarer Glaube an Allah und daran, dass alles gut werden wird.

Und wirklich, so wurde auch jetzt in Deutschland für Mahmoud und Ahmad langsam alles besser. Aus dem nur zweijährigen „subsidiären“ Schutz wurde aufgrund eines Präzedenz-Gerichtsurteils eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis. Mahmoud absolvierte mit Bravour alle Sprachkurse, er spricht Deutsch jetzt fließend.

Viele Bewerbungen kamen hinzu, doch bisher wollte den Maschinenbauingenieur, der sogar an der Universität in Damaskus als Dozent tätig gewesen war, keiner einstellen. Und weil er stolz ist auf das Geleistete, mag er hier nicht als Fensterputzer arbeiten – braucht Deutschland im Grunde doch auch gut ausgebildete Leute wie ihn.

Und jetzt ist es endlich so weit, wir stehen hier und warten auf Amira, die Englischlehrerin, seine Frau, mit den beiden vier- und sechsjährigen Kindern, die mit dem Flieger aus Beirut gelandet sind. Ungeduldig beobachten wir, wie immer mehr Menschen durch die Tür treten und freudig von den Wartenden begrüßt werden.

Begeisterte Rufe, Tränen fließen, es wird geküsst und umarmt. Die Stimmung ist unaussprechlich, man spürt förmlich, wie sich ganz viel Angst und Spannung plötzlich auflösen, denn schließlich kam das Flugzeug aus dem Libanon, wo sich gerade eine Revolution anbahnt. Und dann kommt sie, eine hochgewachsene Frau im Hijab, eng neben sich ein winzig scheinendes Mädchen im Wintermantel und mit langem schwarzem Haar, der Junge ist ebenso klein, aber er tänzelt fröhlich um die Berge an Gepäck herum, die sich auf zwei Wagen türmen. Amira schluchzt leise, als sie endlich wieder ihren Mann umarmen darf. Etwas später, nachdem die gefühlvolle Begrüßung abgeklungen ist, überreiche ich ihr die Blumen und sie drückt mich und küsst mich auf beide Wangen.

„Welcome to Germany“, murmele ich, denn ich möchte ihr so gerne einen guten Empfang bereiten, weiß ich doch, dass auch noch viel Negatives – irritierte Blicke, Vorurteile und ganz allgemein der Kulturschock – in ihrem neuen Leben auf sie warten. Ich verspüre Scham, wenn ich an so viele meiner Landsleute denke: Würden sie angesichts von Krieg, Bomben und Zerstörung nicht auch in ein sicheres Land fliehen und wieder mit ihrer Familie zusammen sein wollen?
Mahmoud strahlt. „Jetzt wird alles gut!“, sagt er überzeugt, „inschallah.“

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