Kommentar: Beschwerliches Ehrenamt?

INGRID LIEZ …

Wer sich ehrenamtlich engagiert – ob in der Kirche, bei der Feuerwehr oder in einem anderen Verein, ist in unserer Gesellschaft angesehen. „Das finde ich toll!“, sagen die meisten Deutschen, und machen es nach: Etwa 30 Mio. sind in unserem Land in ihrer Freizeit mit einem Ehrenamt beschäftigt, das sind mehr als 40% der über 14-Jährigen, und ihre Tendenz ist steigend. Die meisten Menschen engagieren sich in einem Verein, von denen es etwa 600.000 in Deutschland gibt, Spitzenreiter davon sind die Sportvereine.

Die Motive der Engagierten sind unterschiedlich, der Fun-Faktor steht im Vordergrund, es geht sehr vielen aber auch darum, mit anderen Menschen zusammenzukommen oder die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Es lassen sich schließlich auch Qualifikationen, Fachkenntnisse und Lernerfahrungen erlangen und eine große Portion Idealismus spielt sicher auch eine Rolle. Statistisch lässt sich feststellen, dass sich ältere Menschen zeitlich länger engagieren als jüngere, Menschen mit hohem Bildungsabschluss häufiger als solche mit niedrigem, Menschen mit Migrationshintergrund seltener als hier Geborene – das mag auch daran liegen, dass die „Bessergestellten“ oft mehr über den finanziellen Background verfügen, um sich in Ruhe und unentgeltlich einzubringen.
Und trotz allem kämpfen verschiedene, auf dem Ehrenamt basierende Institutionen damit, Nachwuchs zu rekrutieren, aber auch um die gesellschaftliche Akzeptanz. „Wollen viele Menschen, gerade in den Städten, flexibel leben, muss in Folge dessen auch zivilgesellschaftliches Engagement flexibler werden. Das ist ein Problem für die klassischen Organisationen wie im Katastrophenschutz oder in Sportvereinen: Wer eine Ausbildung in einer Feuerwehr oder den Trainerschein macht, muss sich langfristig und regelmäßig binden“, schreibt Katharina Brunner 2017 auf www.sueddeutsche.de. Sich zu binden und langfristig Verantwortung als Schriftführer oder Kassenwart zu übernehmen – das sind die Schwachpunkte des Ehrenamts heute. Es entwickelten sich aber gleichzeitig immer neue Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements wie spontane Selbstorganisationen auf Facebook, so Brunner: „Das Ehrenamt ist im Internet angekommen.“

Doch gehören zum Ehrenamt die langweiligeren oder unattraktiveren Aufgaben einfach dazu – dies zu lernen und daran persönlich zu wachsen kann eine weitere Herausforderung sein. Zum Beispiel ist es für das Bayerische Rote Kreuz schwierig geworden, Leute zu finden, die die Altkleidercontainer ausleeren. In den Kirchen brechen Besuchsdienstkreise zusammen, weil es beschwerlich ist, sich die Klagen einsamer, alter Leute anzuhören. Schwierig wird es auch für die Kirchen und Vereine, Leute für das Austragen von Infopost zu bekommen. Insgesamt, so scheint es, ist das Wissen und die Akzeptanz in der Bevölkerung, das ehrenamtliche Engagement betreffend, im Sinken begriffen. Da beschweren sich Leute über das Heulen der Sirenen, wenn nachts ein Brand ausbricht und die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren aus den Betten geholt werden. Mitarbeiter in Tierschutzorganisationen müssen gleichsam rund um die Uhr verfügbar sein, damit man aufgefundene verletzte Tiere abgeben kann oder Spenden loswerden kann, dabei müssen auch diese Menschen einem Broterwerb nachgehen und sind nicht immer erreichbar.

Geduld und mehr Miteinander und Verständnis sind hier gefragt! Und Sanitäter, Helfer und Feuerwehrleute müssen sich in letzter Zeit immer öfter von Beteiligten oder „Zuschauern“ beleidigen oder anspucken lassen, was unfassbar ist.

Fakt ist, dass große – zum Teil konstituierende – auf dem Ehrenamt basierende Bereiche unserer Gesellschaft sie erst zu einer wahrhaft menschlichen Gemeinschaft machen, die zusammenhält. Und schließlich sind auch das Aufziehen von Kindern, Hausarbeit, Nachbarschaftshilfe und vieles mehr nicht bezahlte Tätigkeiten – wo also fängt das sogenannte Ehrenamt eigentlich an?

Ich hoffe, dass sich auch in Zukunft Menschen finden werden, die sich idealistisch engagieren, auch für unbequeme Aufgaben, und damit unser Zusammenleben auf eine menschliche Basis stellen.

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