Kommentar: Der Preis des Wohlstands

INGRID LIEZ …

Sommer 2019, es ist der 25. Juli, 17 Uhr. Die Kinder und ich sind im Haus, wir haben die Rollläden geschlossen. Obwohl wir uns nicht bewegen, läuft der Schweiß und man ist einfach zu nichts mehr fähig, der Körper ist durch die hohen Temperaturen völlig überfordert. Hier in Idstein im Taunus, etwa 280 m über dem Meeresspiegel, ist es heute 39 Grad im Schatten. Und dabei geht es uns noch gut, in den Großstädten liegt die Temperatur über 40 Grad, am höchsten im niedersächsischen Lingen mit 42,6 Grad. Diese Temperatur wurde in den letzten 140 Jahren in Deutschland noch nie gemessen.

Im Garten lassen alle Pflanzen die Blätter hängen, an den Bäumen werden manche schon gelb. Meine Obst- und Gemüseernte fällt mies aus: Ein paar Zucchini und Tomaten. Die meisten Tomaten werden erst gar nicht rot, weil die Pflanzen von der Hitze geschwächt sind, die Äpfel und Pflaumen fallen welk und faul von den Zweigen. In meiner 50 Jahre alten Eiche finde ich ein Nest der gefürchteten Eichenprozessionsspinner, ich muss es für teures Geld fachgerecht entsorgen lassen. Der Gartenexperte will den Baum gleich mit fällen: „Die sind nächstes Jahr doch wieder da.“ Doch ich hänge an dem Baum, den ich selbst als kleines Mädchen gepflanzt habe, und hoffe, dass 2020 vielleicht ein feuchtes Jahr wird und die Raupen wegbleiben. Die Eiche speichert außerdem jede Menge CO2, sie ist Wohnung und Versteck von vielen Vögeln von der Amsel bis zum Turmfalken, von den unzähligen Käfern und anderen Insekten und Kleinstlebewesen ganz zu schweigen.

Der welke Garten, die schlechte Ernte, die große Hitze – das sind Folgen von Klimaveränderungen, die wir schon jetzt am eigenen Leib erfahren. Durch einen erlahmenden Jetstream in 10 km Höhe bleiben Wetterlagen ungewöhnlich lange an Ort und Stelle liegen – die Folgen sind wochen – oder jetzt monatelange Dürren. Werden wir im Gegenzug auch mal Hochwasserkatastrophen erleben? Noch immer gibt es jede Menge Menschen, die über die Fridays For Future-Bewegung lachen oder schimpfen. „Die sollen lieber mal was lernen und den Mund halten, die haben im Leben noch nichts geleistet!“ – „Demonstrieren, aber ständig am Handy hängen und sich von Mami im SUV zur Schule kutschieren lassen, die denken doch überhaupt nicht nach!“ – „Was soll das schon bringen, wenn das kleine Deutschland weniger CO2 verbraucht? Wir haben einen viel zu geringen Anteil in der Welt!“ – „CO2-Steuer und Klimapakete – wer soll das nachher wieder alles bezahlen? Wir, die kleinen Leute!“

Auf den ersten Blick haben die Nörgler recht, aber man darf nicht vergessen, dass Deutschland weltweit an vierter Stelle des Umweltsünder-Rankings steht. Die Deutschen produzieren fast den meisten Müll weltweit! Wir, die wir in den industriellen Ländern leben, trennen zwar unseren Müll und viele von uns bemühen sich, auch im Alltag an Umwelt und Energiesparen zu denken. Und doch fahren (fliegen) wir im Durchschnitt ein- oder zweimal im Jahr in Urlaub, wir rasen über die Autobahnen und wir können auf Fleisch nicht verzichten. Doch jetzt ist es Zeit, mehr zu tun, bevor es anfängt, richtig weh zu tun – mit Wasserknappheit, Wetterkatastrophen, womöglich Benzin- und Stromrationierung. Dabei wird das größte Leid nicht bei uns entstehen, sondern gerade in den Ländern, die die wenigsten Treibhausgase produzieren.

Wir sollten nicht auf die Jungen schimpfen und Vollkommenheit von ihnen erwarten, die wir selbst nicht besitzen. Gemeinsames weiteres Umdenken ist gefordert, denn die Summe individueller Entscheidungen bewirkt die Veränderung. Jeder, der die Atmosphäre mit CO2 verschmutzt, soll dafür bezahlen, denn die Atmosphäre ist ein globales Eigentum. Weniger Plastik, weniger Fleisch, weniger Massentierhaltungsprodukte, Strom und Wasser sparen, denn weniger ist mehr. Damit für die Zukunft noch was bleibt.

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