INGRID LIEZ …
Ein Fall, der mich dieser Tage sehr beschäftigt, ist der Mord der erst 14 Jahre alten Amerikanerin Carly Gregg im März 2024 an ihrer eigenen Mutter.
Das Video einer Überwachungskamera aus dem Haus der Familie in Brandon, Mississippi, die aus Carly, ihrer Mutter, einer beliebten Lehrerin, und dem Stiefvater bestand, ging vor Wochen viral. Es zeigt die Küche, man sieht zwei schöne Golden Retriever, die aufgeregt hin und her laufen. Carly, schlank, braune, halblange Haare, kommt ins Bild und versteckt etwas hinter ihrem Rücken. Sie schaut wie kontrollierend in die Küche, läuft in einen anderen Raum und dann hört man drei Schüsse und einen Schrei. Carly kommt zurück, nimmt ein Handy und textet.
Nachher wird deutlich, dass wohl alles Methode war: Sie schrieb ihrem Stiefvater, um ihn nach Hause zu locken. Auch auf ihn schoss sie später und verwundete ihn schwer. Dazwischen kam eine Freundin zu Besuch, die von Carly gefragt wurde, ob sie schon einmal eine Leiche gesehen habe. Die Frage verneinend, bekam die Freundin von der 14-Jährigen den Körper der Mutter gezeigt. Wenig später wurde Carly von der Polizei verhaftet.
In der Verhandlung vor einem Geschworenengericht kam zur Sprache, dass Carly wohl schon lange psychische Probleme hatte. Eine Krankenschwester sagte aus, sie habe Carly nach einem kurzen Gespräch in einem Gesundheitszentrum Psychopharmaka verschrieben – in Amerika so üblich. Fotos von früher zeigen jedoch eine glückliche, lachende Carly zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater oder mit Schulkameraden.
Im Laufe der Verhandlung zeigte sich, dass nicht alles eitel Sonnenschein war. Als Carly vier Jahre alt war, starb ihre kleine Schwester. Danach gab es sehr oft heftige Auseinandersetzungen der leiblichen Eltern, die sie miterlebte. Die Eltern trennten sich. Auch gibt es ein Tagebuch, in dem Carly kurz vor der Tat schrieb, dass sie mit einer der Stimmen in ihrem Kopf gesprochen habe. Der Stiefvater sagte aus, dass Carly entsetzlich geschrien habe, bevor sie auf ihn zielte und abdrückte. Das passt eigentlich nicht zu dem sonstigen, kaltblütig erscheinenden Ablauf. Als dann das Urteil verkündet wurde, schien das Mädchen völlig fassungslos und brach in Tränen aus.
Ehrlich gesagt, auch ich konnte es kaum fassen: Die Geschworenen befanden Carly einstimmig für schuldig und sie wurde zu lebenslanger Haft ohne Aussicht auf Bewährung verurteilt. Wie kann das sein?
Auch in Deutschland ist man mit 14 strafmündig, erhält aber meistens milde Strafen – es mag dahingestellt sein, ob das in allen Fällen okay ist. Auch bin ich kein Täter-Freund, der alle Taten mit dem psychischen Zustand entschuldigt. Aber: Mit 14 ist man mitten in der Pubertät, die Hormone fahren Achterbahn, man kommt mit dem eigenen Körper, der sich stark verändert, schlecht zurecht. Carly ist mit ihren Problemen allein gelassen worden! Was können Tabletten ausrichten, wenn ein Gespräch und Fürsorglichkeit angezeigt sind?
Hinzu kommen die unsäglichen US-Waffengesetze, die es jedem erlauben, eine Waffe zu besitzen oder bei sich zu tragen. Die Pistole, mit der Carly abdrückte, war unter der Matratze ihrer Mutter versteckt und sie wusste das. Wäre dies nicht so gewesen, hätte es auch keinen Mord gegeben.
Als Mutter bricht es mir das Herz, und ich glaube auch nicht, dass Carlys Mutter es gewollt hätte, dass ihre Tochter lebenslang in den Knast wandert.
Brutales, altmodisches Justizsystem in den USA! Carly Gregg braucht Betreuung und kein Leben hinter Gitterstäben. Selbstverständlich kann sie so nicht in die Freiheit entlassen werden. Der richtige Ort für sie wäre eine geschlossene psychiatrische Anstalt, in der endlich eine richtige Diagnose gestellt wird.
Aber es gibt Hoffnung: Erst vor kurzem hat sich Carlys leiblicher Vater gemeldet und ausgesagt, dass seine Tochter schon LANGE Stimmen in ihrem Kopf höre. Das könnte ein Zeichen für verschiedene psychische Krankheiten wie PTBS, bipolare Störung oder Psychose sein und wirft ein neues Licht auf den Fall. Carlys Anwältin hat beantragt, dass alles vor Gericht nochmal neu aufgerollt wird – neben der Möglichkeit, in Berufung zu gehen.