Gemüse selber anbauen: Lohnt sich das überhaupt?

INGRID LIEZ …

„Dieses Jahr mache ich nicht so viel.“ Diese Aussage steht bei mir am Beginn eines jeden Gartenjahres. Dann sehe ich meine Samensammlung durch, suche heraus, was ich ansäen möchte. Schnell sind kleine Töpfchen und Pflanzschalen samt Erde herbeigeholt und schon geht es los. „Ist ja nicht viel. Die gehen sowieso nicht alle auf.“ Hast du gedacht! Vier Wochen später stehen da jede Menge kleiner Pflanzen und wollen versorgt werden. Sobald es für die jeweiligen Sorten warm genug ist, geht es hinaus ins Beet oder für Tomaten und Gurken ins Hochbeet und die Kübel. Und bald wächst mir wieder alles über den Kopf.

Und doch macht es Spaß! Jedes Jahr ist anders. Einmal gibt es Gurken und Zucchini ohne Ende, so wie in diesem Jahr, dafür werden die Tomaten einfach nicht rot, weil es zu wenig Sonne hat. Ich hacke, dünge, grabe, gieße, rupfe Beikraut und verteile Mulch. So viel Arbeit. Jedes Jahr wird gestöhnt – wegen dem schmerzenden Rücken, den krummen Fingern, den schweren Armen, von Brennnesseln und Schnaken zerstochene Haut. Lohnt sich das alles?

Das ist wohl bei allen Klein- und Hobbygärtnerinnen und -gärtnern gleich, denn meckern gehört zum Handwerk wie auch jede Menge Rückschläge: Man fragt sich oft, warum man das alles auf sich nimmt. Gemüse im Supermarkt wird zwar immer teurer, aber der Eigenanbau kostet eine Menge Schufterei, Wasser und viel Zeit. Und dann sind die Roten Beten mickrig, der Salat von Schnecken zerfressen und die Kohlrabi bilden keine Knollen aus.

Und doch ist die Antwort immer wieder: Ja, und ob, es lohnt sich! Die Arbeit draußen an der frischen Luft bei Vogelgesang, der Duft von Gräsern und Kräutern und der feuchten, wertvollen Erde, immer wieder neue Pflanzen zu finden und aufblühen zu sehen, die den Weg in meinen Garten gefunden haben (Schafgarbe, wilder Rittersporn und Kerbel, Mariendistel … für mich gibt es kein „Unkraut“), die vielen Tiere zu beobachten – Bienen und Hummeln bei der Arbeit, zuweilen ein Juwel zu entdecken wie eine Holzbiene mit blauschwarzen Flügeln, einen Kaisermantel oder einen Admiral.

Egal, wie anstrengend es ist – ich habe einen Naturgarten mit Brennnesseln für die Schmetterlinge, mit alten Holzhaufen und abgestorbenen Ästen als Heimat für Igel und Co., eine Blühwiese mit Löwenzahn und Habichtskraut. Bei mir muss es nicht ordentlich und steril aussehen. Und überhaupt: Zu sehen, wie meine Pflanzen wachsen und gedeihen, groß werden und Blüten bilden, dann Früchte, all das sind immer wieder unbezahlbare, wunderbare Eindrücke. Und dann die Ernte: Der Biss in die erste, pralle Tomate mit ihrem unvergleichlichen Geschmack, intensiver, würziger als die Waren aus dem Supermarkt, die oft schnell, in Treibhäusern und zuweilen bloß in Holzwolle herangezogen wurden. Und die Früchte aus dem eigenen Garten sind zumeist gesünder und frischer, weil sie keine Transportwege hinter sich haben.

Zum ersten Mal haben meinen Garten meine Großeltern bewirtschaftet, die ihn auch angelegt haben. Damals diente er in erster Linie dazu, die Familie mit Lebensmitteln zu versorgen. Mit dem Wirtschaftswunder in den 60er Jahren schwanden für diese Generation die Sorgen um genug zu essen: Denn die industrielle Landwirtschaft produzierte dank Mineraldünger viel und günstige Nahrung. So schrumpften vielerorts, besonders in den westlichen Bundesländern, die Selbstversorgergärten immer weiter und wurden zu reinen Ziergärten mit exakten Rasenflächen und Blumenbeeten. Doch schon seit vielen Jahren findet wieder ein Umdenken statt, sieht man mal von den schrecklichen Schottergärten ab, die heutzutage „in“ sind. „Bio“ und nachhaltig sind Merkmale, die für viele Menschen wichtiger sind als eine eventuelle Geldersparnis. Und dazu das Erlebnis immer wieder neuer Wunder, Inspiration, Schönheit sowie ein stetiger Lernprozess: Ja, unbedingt, es lohnt sich, einen Garten zu bewirtschaften und eigenes Gemüse anzubauen.