INGRID LIEZ …
„Ich wollte unbedingt herkommen, um selbst Fotos zu machen. Ich habe diesen Ort und den traumhaften Ausblick im Internet gesehen“, so begeistert sich eine japanische Touristin in dem Südtiroler Dörfchen St. Magdalena, von wo aus man wirklich einen wunderschönen Blick auf die Geißler-Gruppe hat. Auch als Hochzeits-Location ist St. Magdalena mittlerweile sehr beliebt.
Neben weiteren Tagestouristen und Urlaubern kommen täglich 10-15 Reisebusladungen von Menschen hierher, und das spätestens, seit die Geißler-Gruppe UNESCO-Welterbe geworden ist, so berichtet der ORF, „Zeit im Bild“, im August 2025 auf seinem YouTube-Kanal.
Menschenmassen und -schlangen sowie allgemeine Überfüllung sind mittlerweile ein Problem – nicht nur an den Geißler-Spitzen. Egal ob Eibsee, Zugspitze, Pragser Wildsee, Königsee oder in Richtung Zillertal – überall in den Bergen werden durch die erholungssuchenden und Selfie-süchtigen Massen traumhafte Ausblicke mehr und mehr zum Alptraum. Nicht nur für die Natur, die Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch für die Einheimischen, die sich plötzlich fremd und unwohl in der eigenen Heimat fühlen. „Wir werden alle tagtäglich abgelichtet, fühlen uns wie Zootiere“, berichtet eine junge Frau. „Die Touristen rennen durch den Ort, haben keine Zeit und kein Benehmen, fahren mit Autos bis in die Wiesen und lassen überall Drohnen steigen. Und sie werfen überall ihren Müll hin!“
Der Präsident der Südtiroler Sektion des Club Alpino Italiano (CAI Alto Adige), Carlo Alberto Zanella, gibt sich empört angesichts flipfloptragender „Naivlinge und Proleten“, die schlecht ausgerüstet seien und überall ihren Müll hinterließen, so heißt es im Corriere della Sera, zitiert nach der österreichischen Kronen Zeitung. Der Ruf nach drastischen Maßnahmen wird immer lauter. Am Pragser Wildsee etwa hat man bereits ein Besucher-Lenksystem umgesetzt.
Allgemein gesagt, hat die Natur schon seit Jahrzehnten in den Alpen einen schlechten Stellenwert. Lebensräume werden durch immer neue Skigebiete, Liftanlagen und den Straßenbau zerstört. Die Bodenversiegelung, die Luftverschmutzung (Staus und überfüllte Straßen!) sowie der Wasserverbrauch, z. B. durch Kunstschnee (1 Hektar Piste benötigt bis zu 1 Mio. Liter Wasser pro Saison!) tun ein Übriges. Die Wildtiere werden durch den Wintersport- und andere Outdoor-Aktivitäten ständig gestört. Die Menschen vor Ort verlieren buchstäblich die Heimat, wenn sie sich durch absurd hohe Immobilienpreise Wohnungen nicht mehr leisten können und durch Ferienwohnungen schlichtweg verdrängt werden oder einfach dadurch, wenn ihr Heimatort und seine Traditionen „disneyfiziert“ werden, um Touristen anzulocken.
Also mal ehrlich: Massentourismus um jeden Preis? Wer verdient denn am meisten daran? Bestimmt nicht die Einheimischen oder die schlecht bezahlten Saisonarbeiter/innen!
Maßnahmen zu einer Lenkung der Besucherströme im Sinne eines „sanften“ Tourismus sind an zahlreichen Orten nicht nur in Südtirol längst überfällig. Tageskontingente sind hier das Stichwort. Stringente Obergrenzen für Hotspots, Voranmeldung im Internet und noch mehr öffentliche Verkehrsmittel könnten dafür sorgen, dass Orte wie St. Magdalena aufatmen können – bis hin zu Buchungssystemen für einzelne Wanderwege und Shuttle-Services für Bergtäler – nicht zu vergessen das Ausweisen von weiteren Schutzgebieten. Dazu müsste sich ebenso der Fokus von Quantität auf Qualität verschieben: Besser weniger Gäste begrüßen, die länger bleiben und die Region wirklich erleben wollen. Nicht „Hit and Run“, sondern ein Plus an Atmosphäre, Kultur und Genuss auch für den einzelnen Besucher. Für lokale Initiativen, aber auch für die Besucher selbst gibt es hier schon viele Ideen und Anreize.
Die Alpen sind nun mal keine typische Freizeitkulisse, sondern ein vielfältiger Lebensraum – für Natur und Menschen. Wer sie noch retten will, muss den Tourismus endlich begrenzen – sonst verlieren wir beides. In St. Magdalena jedenfalls sollen sich jetzt die Reisebusse wenigstens im Vorfeld online anmelden.