Stillschweigen spielt Tätern in die Hände!

INGRID LIEZ …

Welche Frau hat es noch nicht erlebt: Da gibt es das intensive Tätscheln auf dem Rücken, das ungefragte In-den-Arm-Nehmen oder der mehr oder weniger feste Klaps auf den Po – und mehr!

Dabei ist frau meistens im ersten Moment so verblüfft oder geschockt, dass sie nicht angemessen reagiert, z. B. mit einem energischen „Lass das“ oder „Stopp“. Noch schwerer wird es sicherlich mit einem „Lassen Sie das bitte“, wenn es bei dem Übergriffigen um den eigenen Chef geht. Schließlich geht es da um die Atmosphäre am Arbeitsplatz oder gleich um denselben!

„Sexismus und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kommen in vielen Unternehmen und Organisationen vor“, schreibt das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (www.bmfsj.de). Nach einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2019 habe jede elfte erwerbstätige Person in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz erlebt. Frauen seien doppelt so häufig betroffen wie Männer. Weiter heißt es großspurig: „Betroffene können sich direkt gegen Täter oder Täterinnen wehren und bei ihrer Arbeitsstelle Schutz und Hilfe einfordern.“

Das mag stimmen, aber viele Frauen trauen sich einfach nicht, gegen Kollegen oder den Chef vorzugehen, denn zu viel steht auf dem Spiel. Wie in vielen anderen Bereichen auch und wie es seit Jahrhunderten in den Köpfen verankert ist, bleibt die Frau eine stille Dulderin von Gewalterfahrungen und erleidet damit oft nicht nur körperlich, sondern auch psychisch enorme Schäden.

Ganz ehrlich: Auch Jennifer Hermoso vom spanischen Fußball-Nationalteam reagierte auf den ungewollten Mundkuss von Verbandspräsident Luis Rubiales nach dem Sieg der spanischen Frauenmannschaft nur mit hilflos erhobenen Händen und später mit der Aussage „Es hat mir nicht gefallen“ – statt dem Macho gleich in die Eier zu treten. In der Öffentlichkeit brach ein Sturm der Entrüstung aus, die den spanischen Fußballverband dazu zwang, Rubiales von seinem Posten zu entbinden.

Das Außergewöhnliche: Einmal ans Licht gezerrt und öffentlich, vermag unsere Gesellschaft dem kollektiven Konsens der Verurteilung sexueller Übergriffe zu entsprechen – während sie unter der Oberfläche und hinter den geschlossenen Türen der Büros und Privathaushalte gnadenlos weitergeht. Welch eine Doppelmoral!

Florian Harms schreibt in seiner Kolumne auf t-online.de am 25.8.23 zur Kuss-Affäre: „Selbstherrliche Chauvis decken einander, statt klipp und klar einzuräumen, was jeder Anständige sehen kann: Hier hat ein Mann eine Frau belästigt, herabgewürdigt und sich nur unter öffentlichem Druck zu einem Bedauern durchgerungen. Damit hat er ein verheerendes Signal ausgesandt: Als mächtiger Mann kann man sich erlauben, was man will – und Frauen müssen es erdulden: Sollen die sich mal nicht so anstellen! Sind Männer Schweine? Natürlich nicht alle, aber leider zu viele.“

Seit 2020 hat die Zahl der männlichen Tatverdächtigen, eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verübt zu haben, exorbitant zugenommen und ist von unter 20.000 auf 80.000 hochgeschnellt. Das liegt vielleicht auch daran, dass endlich mehr Frauen die Übergriffe zur Anzeige bringen. Es gibt für den Begriff „sexualisierte Gewalt“ keine feststehende Definition: Sie ist „die Ausübung von Gewalt mit sexuellem Bezug ohne Einwilligung oder Einwilligungsfähigkeit des Opfers.“

Dabei gehe es nicht nur um Sexualität, sondern um Macht, Überlegenheit, Erniedrigung und Entwürdigung. Es gehörten auch verbale oder nonverbale Formen der Abwertung und Demütigung dazu, heißt es auf www.aufarbeitungskommission.de.

Auch wenn es schwerfällt und sogar, wenn etwa der Arbeitsplatz in Gefahr ist: Jede Frau sollte es sich wert sein, sich zu wehren. Jeder Po-Klatscher sollte eine Ohrfeige nach sich ziehen! Der Bundesverband für Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bietet Anlaufstellen und Telefonnummern, wo Frauen sich auch anonym hinwenden können.

An erster Stelle seien das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (Telefon-Nummer 08000 116016), der Verein Wildwasser und die Opferhilfe des Weißen Rings genannt.

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