Acht Milliarden: Hat die Erde noch eine Chance?

INGRID LIEZ …

Noch nie zuvor so viele Menschen: Die Vereinten Nationen haben den 15. November 2022 als einen Symboltag gewählt: Erstmalig in der Geschichte des Homo Sapiens sind wir acht Milliarden.

Die Vermehrung der Menschheit entspricht einer Exponentialfunktion. Im Jahre 1800 waren wir 980 Millionen, 1950 bereits zweieinhalb Milliarden, im Jahre 2000 6,1 Milliarden. Jetzt geht es immer schneller: 2050 werden wir 9,7 Milliarden sein, 2100 gar fast 11.
Rein biologisch gesehen, fasst Florian Harms auf t-online zusammen, sei die menschliche Entwicklung eine Erfolgsstory: „Wir sind unangefochten Chefs auf dem Planeten, wir haben die Macht, alles nach unserem Willen zu gestalten, wir vermehren uns wie die Karnickel.“

Jedoch schrieb bereits Yuval Noah Harari in seinem Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ 2015 davon, dass der Mensch überall dort, wo er auftauchte, andere Arten erst verdrängte und dann ausrottete. Damit begann der Feldzug der Zerstörung gegen unsere eigenen Lebensgrundlagen, denn wir sägen jetzt buchstäblich den Ast ab, auf dem wir sitzen.

Neben dem Artensterben droht uns die globale Klimakrise mit Wetterkatastrophen und nie dagewesenen Flüchtlingsströmen, die Weltmeere laufen über vor Müll, und um noch genügend Nahrung anzubauen, brauchen wir immer mehr giftige Pflanzenschutzmittel.

Fest steht, dass die Industrieländer und ihr extensives Konsumverhalten am meisten zur Zerstörung der Welt durch Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung beitragen, auch wenn dort die Geburtenraten rückläufig sind. „Wir können unsere jetzige Lebensweise nicht mehr lange aufrechterhalten“, sagt Sylvia Lorek, Professorin für Konsumökonomie an der Uni Helsinki, auf www.dw.de. Gut essen, in einem Steinhaus wohnen, Auto fahren, Smartphone nutzen und dazu jedes Jahr in den Urlaub fahren: Je mehr Menschen diesen konsumorientierten Lebensstil anstreben, desto weniger kann sich die Erde regenerieren und die für das Überleben wichtigen Ressourcen – Flora, Fauna, Wasser und Fläche – erhalten. Lorek: „Um die Bedürfnisse der Weltbevölkerung zu befriedigen, benötigen wir derzeit jedes Jahr unhaltbare 175% der ökologischen Ressourcen.“

Jemanden, der bereits ein Bewusstsein für diese schlimmen Auswirkungen des Konsumverhaltens entwickelt hat, macht das wütend, und man liest Bücher wie Dan Browns „Inferno“, verfilmt mit Tom Hanks, mit einer gewissen Befriedigung: Hier entwickelt ein verrückter Wissenschaftler ein verheerendes Virus, mit dem er die Hälfte der Menschheit ausradieren will, um der Bevölkerungsexplosion entgegenzuwirken (Brown schrieb das Buch vor Corona!). Er scheitert Gott sei Dank.

Doch es muss baldmöglichst ein generelles globales Umdenken her, um den Planeten zu retten: Ein Umdenken in Form von einem Weniger, statt Mehr. Sylvia Lorek unterstreicht, dass unsere Lebensweise nicht bewusst gewählt sei, sondern auf den Gesellschaftsnormen und der historisch gewachsenen Wertevermittlung basiere. Zudem werde in den Medien immer wieder der Eindruck vermittelt, dass der finanzielle Reichtum, sprich, das Geld, das Wichtigste im Leben sei. Stattdessen müsse es darum gehen, eine „neue globale Balance gemeinsam als Gesellschaft auszuhandeln“. Schaffen wir das?

Ich will es nicht generell verneinen, aber es wird schwer. Denn die Menschheit hat – entwicklungsbedingt – die Eigenschaft, Gefahren immer erst dann wirklich zu erkennen, wenn sie direkt vor Augen stehen, wenn sie am eigenen Leib erfahren werden. Bei Klimawandel und Bevölkerungsexplosion funktioniert das (noch!) nicht. Deshalb sollten wir bewusst versuchen, gegenzusteuern, um den Paradigmenwechsel einzuleiten: Weniger Flugreisen, weniger Individualverkehr, mehr Kollektivität, weniger Egoismus bzw. individuell orientierter Lebensstil, mehr pflanzlich geprägte Ernährung, alternative Wohnideen, Umstrukturierung von Städten. Dabei muss bei einem veränderten Lebensstil nicht zwangsläufig die persönliche Freiheit scheitern. Mehr „Wir“ bringt häufiger mehr Glück und Lebensqualität als wir denken.

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