Containern erlauben – ein Griff in die Tonne?

INGRID LIEZ

Wer in den Abfallcontainern von Lebensmittelläden, Discountern oder Fabriken für etwas Essbares herumwühlt, tut dies meist aus zwei Gründen: Erstens, weil er oder sie schlicht und ergreifend Hunger hat, es sich aber nicht leisten kann, etwas zu kaufen, oder zweitens, weil ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung gesetzt werden soll.

In Deutschland werden jedes Jahr etwa 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, der größte Teil davon kommt aus Privathaushalten und Restaurants, nur noch 7 % des Mülls stammt aus Lebensmittelgeschäften. Weltweit sind es sogar 931 Millionen, Deutschland gehört jedoch laut UN Food Waste Index 2021 zu den traurigen Spitzenreitern. Nur China, Indien, USA und Japan verschwenden noch mehr Lebensmittel.

In Deutschland ist das Herumwühlen in den Containern strafbar, entweder als Hausfriedensbruch (§123 Abs 1 StGB) oder als Diebstahl (§242 StGB). Wegen einer Geringwertigkeit kommt jedoch eine Strafverfolgung nur auf Antrag in Betracht. Allerdings wurden noch 2019 zwei Studentinnen in Fürstenfeldbruck schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe sowie zu jeweils acht Stunden gemeinnütziger Arbeit bei der Tafel verurteilt.

In der Schweiz zum Beispiel ist Containern erlaubt, aber nur, wenn die Tonne frei zugänglich ist und nicht durch ein Schloss gesichert. Das wollen Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) in Deutschland gern ebenso handhaben. „Wer Lebensmittel vor der Tonne rettet, soll strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden“, erklärte Özdemir. Der Lebensmittelhandel dagegen lehnt dies ab, denn er fühlt sich nur für einen geringen Anteil an der Lebensmittelverschwendung verantwortlich. Außerdem geht es ihm, wie man in den Medien liest, um eine mögliche „Konkurrenz“ durch das Containern sowie um die Haftung, falls verdorbene oder Waren aus einem Rückruf – wenn sie etwa mit Plastikteilchen aus der Produktion verunreinigt sind – containert und genossen werden und die Konsumierenden dann einen gesundheitlichen Schaden davontragen. Ein gutes Vorbild könnte hier jedoch Italien und sein „Gute-Samariter-Gesetz“ sein: Neben finanziellen Anreizen für Supermärkte, Lebensmittel nicht wegzuwerfen, werden die Unternehmen von der Haftung freigestellt, wenn es sich nicht um grobe Fahrlässigkeit handelt.

Containern legalisieren, damit arme Studierende, Obdachlose oder andere Menschen, die wenig haben, sich etwas zu essen besorgen können, klingt allerdings für viele ziemlich zynisch: Hat der Staat keine anderen Mittel und ist nicht dazu in der Lage, für alle seine Bürger*innen angemessen zu sorgen? In der Tat werden die Lebensmittelläden immer mehr dazu angehalten, ihre überschüssigen Lebensmittel an die Tafeln zu spenden – doch lediglich aufzufordern, ist doch bei weitem nicht genug!

Es landet immer noch so viel im Müll – manchmal ganze Paletten mit Keksen oder Schokolade, nur weil etwa das Aussehen der Packung vom Hersteller geändert wurde, heißt es in einem Bericht der Sendung „Hessenschau“. Außerdem wolle die Branche ihre Wegwerfpolitik nicht unbedingt mehr als nötig publik machen.

Die Supermärkte könnten viel mehr tun, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, zum Beispiel auch dafür zu sorgen, dass die Regale in Randzeiten nicht mehr prall gefüllt sein müssen.
Die Frage tut sich auf, warum die beschädigten oder abgelaufenen Lebensmittel nicht noch öfters an die Tafeln gespendet werden, die händeringend um mehr betteln. Denn auch hier ist mittlerweile „Schmalhans Küchenmeister“, weil es einfach zu viele Menschen gibt, die auf die Tafeln angewiesen sind. Viele Tafeln haben Aufnahmestopp – was bleibt also übrig, als zu versuchen, im Abfall noch etwas Essbares zu ergattern?

Überall herrscht politischer Handlungsbedarf! Containern zu legalisieren – auch wenn es zynisch klingen mag – kann dafür nur ein erster Schritt sein. Das Grundproblem nämlich, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in Deutschland unter Armut leidet, ist damit noch lange nicht an der Wurzel gepackt.

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