Das Gendersternchen und die Bilder in unserem Kopf


INGRID LIEZ …

Was bedeutet eigentlich „gendern“ und warum wird diese Debatte in Deutschland so emotional geführt? Das in Texten immer häufiger verwendete Sternchen (*) oder in der gesprochenen Sprache das Anfügen einer weiblichen Endung an männliche Personenbezeichnungen („Besucher-innen“) stoßen bei etwa zwei Dritteln der Deutschen auf vehemente Ablehnung – meistens bei Männern. „Gender“ ist übrigens ein Lehnwort aus dem Englischen und bezeichnet das soziale Geschlecht oder fasst Geschlechtsaspekte zusammen, die eine Person in Kultur und Gesellschaft beschreiben – in Abgrenzung zum rein biologischen Geschlecht („Sex“).

Grundsätzlich ist es ja in vielen Teilen der Gesellschaft in Deutschland gang und gäbe, am liebsten alles so zu belassen, wie es ist und sich gegen Veränderungen zu stemmen. In dieser konservativen Haltung spiegelt sich natürlich auch die Tatsache, dass die Menschheit seit Tausenden von Jahren von der Männerwelt dominiert wird, daher steht in vielen Sprachen das generische Maskulinum an erster Stelle.

Im Französischen zum Beispiel ist grammatisch die Mehrzahl in der Wortendung ebenfalls männlich, wenn mehrere Männer und Frauen als Gruppe erwähnt werden. Da Sprache aber niemals ein statisches Konstrukt ist, sondern sich immer mit der Gesellschaft verändert, gilt dies auch jetzt, wo wirklich bewusst wird, welch großen Anteil Frauen an der Entwicklung der Gesellschaften haben. Um dies noch weiter in den Köpfen zu verankern und die Bilder im Kopf zu verändern, die entstehen, wenn wir lesen und sprechen, ist die bewusste Anpassung von Sprache ein hervorragendes Mittel.

An wen denken Sie, wenn Sie die Frage gestellt bekommen: „Welche berühmten Autoren des 20. Jahrhunderts kennen Sie?“

Wahrscheinlich fallen Ihnen Namen wie Thomas Mann, Franz Werfel oder Heinrich Böll ein. Weniger Namen wie Virginia Woolf, Irmgard Heun oder Juli Zeh. Das Wissenschaftsportal QUARKS nennt in diesem Zusammenhang eine interessante Studie: Versuchspersonen bekamen verschiedene Satzkombinationen präsentiert, zum Beispiel: „Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof. Einige der Frauen trugen keine Jacke.“ Die Frage war, ob der zweite Satz eine sinnvolle Fortsetzung des ersten sei. Gemessen wurde die Reaktionszeit, bis die Leute mit „Ja“ antworteten.

Über solche Tests versuchen Forschende herauszufinden, wie gut die Sprache und die Bilder dazu im Kopf zusammenpassen. (Vgl. www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/was-gendern-bringt-und-was-nicht).

Es geht also um die Bilder im Kopf, die wir verändern müssen, um unser Zusammenleben zu verändern. Dass Wörter im generischen Maskulinum männliche Bilder im Kopf erzeugen, gelte z. B. auch für eher weiblich besetzte Berufe, wie „Kosmetiker“ oder „Kassierer“, heißt es in dem Quarks-Artikel. Somit stellten die generischen Maskulina „die Welt nicht so divers dar, wie sie heute ist“.

Das Gendersternchen erweitert also „die Schablone im Kopf“ und hat deutliche Effekte auf die Gleichberechtigung, denn unsere Gedanken schaffen bekanntlich die Welt um uns herum. Studien zeigen bereits, dass Frauen so „sichtbarer“ werden und das Gendern bei jungen Menschen auch Auswirkungen auf die Berufswahl hat: Mehr Frauen bewerben sich auf Jobs, bei denen „ein Geschäftsführer/eine Geschäftsführerin“ gesucht wird.

Nachteile beim Gendern liegen darin, dass die Sprache komplizierter wird. Beim Schreiben merke ich selbst, dass ich verschiedene Formen des Genderns verwenden muss, um den Text lesbar zu gestalten: Entweder das Sternchen oder ein komplett verändertes Wort („Studierende“, „Forschende“). Manchmal lasse ich auch das Gendern im Textverlauf sein, wenn es zu dicht aufeinander um „Teilnehmerinnen“ und „Besucherinnen“ geht. Denn wie wir gendern, bleibt natürlich uns selbst überlassen – darüber nachgedacht haben sollten wir schon. Ich glaube, es ist in unserer Gesellschaft noch ein langer Weg, bis wir auch in der gesprochenen Alltagssprache durchweg gendern. Doch ein „Trampelpfad“ ist bereits angelegt.

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