Der deutsche Erdbeer-Wahnsinn

INGRID LIEZ …

Endlich ist wieder Erdbeer-Zeit! Alle freuen sich auf Erdbeerkuchen, selbstgemachtes Erdbeereis oder die berühmte Erdbeer-Rhabarber-Konfitüre aus Großmutters Küche. Was jedoch momentan besonders auf den Münsterländer Erdbeerfeldern geschieht, kann man kaum glauben: Da vernichten die Erdbeer-Bauern zum Teil ihre Ernte, weil ein Überangebot besteht, die Kosten zu hoch sind und die Preise niedrig.

Also mal ehrlich! Das ist doch der vollkommen absurde Auswuchs einer Ökonomie, die sich rein an Wachstum und Profit orientiert. Und doch: Die Landwirt*innen können nichts dafür, sie müssen wohl so handeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben und zu überleben.

Selbstverständlich schaue auch ich im Laden nach dem Preis. In diesem Jahr kosten die Erdbeeren bei uns teilweise 6-7 Euro à 500g. Beim Discounter habe ich welche für 1,49 bekommen, sogar deutsche! Auf dieser preislichen Ebene befinden sich sonst nur Erdbeeren aus Spanien.

Das Abmähen und Unterpflügen der roten Köstlichkeit ist jedoch eine solche Verschwendung! Und dabei wird auf diese Weise nicht nur mit Erdbeeren verfahren. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft werden jedes Jahr insgesamt 12 Mio. Tonnen Nahrung entsorgt, die gar nicht erst auf den Tellern landen – davon fallen 1,4 Mio. Tonnen in der sogenannten Primärproduktion an, das heißt, das Essen wird gleich auf dem Acker entsorgt.

Der Sprecher der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Bernhard Rüb, erklärte laut Berliner Kurier, die Landwirte könnten 2022 keinen Gewinn mit den Erdbeeren erwirtschaften. Durch Wärme und Sonnenschein seien die Beeren so gut gewachsen, dass ein Überangebot bestehe. Dier Nachfrage sei dagegen niedrig, die Menschen sparten in Zeiten der Inflation und der hohen Energiepreise an besonderen Lebensmitteln. Auch die Lohnkosten seien für die Bauern zu hoch. Noch letztes Jahr habe es ganz anders ausgesehen: Da seien während der hohen Corona-Zahlen die Menschen aufs Land gefahren und hätten bei Direktvermarktern eingekauft. Dieser Boom sei jedoch vorbei. Sogar auf den Feldern zum Selberpflücken sei der Andrang zurückgegangen – die Spritpreise sind zu hoch, die Leute lassen das Auto lieber stehen. Ein weiteres Problem für die deutschen Bauern ist laut Rüb die Konkurrenz aus dem Ausland: „Erdbeerbauern etwa aus Spanien können den Supermärkten ihre Früchte zu einem viel niedrigeren Preis anbieten, weil sie unter ganz anderen Bedingungen produzieren können.“ Auch seien dort die Anforderungen an Umwelt- und Pflanzenschutz geringer, was den Preis weiter drücke. „Mancherorts ist ein Punkt erreicht, an dem eine Erntevernichtung die betriebswirtschaftlich bessere Entscheidung ist.“

Die Beweggründe der Land-wirt*innen sind durchaus nachvollziehbar, auch wenn die Zerstörung der Ernte nicht die Lösung sein kann. Vielleicht könnte man doch wieder mehr Felder zum Selbstpflücken freigeben und dieses für die Menschen preislich attraktiv machen – einfach, damit weniger Lebensmittel vernichtet werden?

Und natürlich kann man nur jedem raten, faire Preise für die Erdbeeren zu bezahlen, damit sich der Anbau für die Erzeuger weiter lohnt. Doch immer weniger Menschen können sich dies leisten: Hier stimmt etwas nicht mehr! Auf welchen Weg sind wir geraten, ist diese wirtschaftliche Abwärtsspirale auch im Zug der Inflation noch aufzuhalten?

Meine Familie hat das Glück, Erdbeeren im Garten zu haben. Unsere Marmelade ist also gesichert, doch im Besitz des Privilegs „Garten“ zu sein, verschafft mir immer mehr ein ungutes Gefühl.

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