Der „Schweinestau“: Eine Tötungsmaschinerie stockt

INGRID LIEZ …

Covid-19 ist ein merkwürdiges Virus. Immer wieder scheint es den Finger in die Wunde zu legen – nämlich genau dort, wo in unserer Gesellschaft Probleme sind.

Das ist in den deutschen Flüchtlingsunterkünften ebenso wie in den Behausungen von Leiharbeitern, die bei uns bisher auf viel zu engem Raum leben. Dort bricht das Virus mit Vorliebe aus, aber auch in den vielen Seniorenwohnheimen, in die wir unsere alten Menschen – meist unfreiwillig zwar – zum Sterben hingebracht haben: Eine Folge unserer von Arbeit, Leistung und Geld geprägten Welt.

Jemand, der an solche Dinge glaubt, könnte behaupten, dass es die Antwort der Natur auf unseren Raubbau ist. Weil in China wilde Tiere (Fledermäuse?) gefangen, verkauft und gegessen wurden, sprang das Virus von diesen auf den Menschen über und setzte durch unsere globalisierten Strukturen die Pandemie in Gang.
Es zeitigt Folgen dort, wo wir es gar nicht erwartet hätten und bringt die erstarrten Strukturen und Abläufe in unserer Gesellschaft vollkommen durcheinander.

Da ist der sogenannte „Schweinestau“ nur ein Beispiel: Corona-bedingt schaffen es die Schlachthöfe nicht mehr, die herangemästeten Schweine taktgemäß und mengenüblich zu schlachten und zu zerlegen. Eine Rolle beim „Schweinestau“ spielt auch die Afrikanische Schweinepest, die die Abnahme der Schweine und den Fleischabsatz erschwert.

Jede Woche werden in Deutschland laut der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands 100.000 Schweine zu wenig getötet. Inzwischen drängen sich unter teils unwürdigen Bedingungen mehr als 500.000 Schweine in den Mastanlagen, bis Weihnachten könnten es eine Million und mehr sein, so schreibt www.ariwa.de (Animals Right Watch) am 5. 11. 2020.

Man muss sich diese Zahlen einmal vor Augen halten: Jedes Jahr werden in deutschen Schlachthöfen mehr als 750 Mio. Tiere getötet, darunter 55 Mio. Schweine, fast die Hälfte des Schweinefleischs wird exportiert. Die Grundlage ist das Leid unzähliger Millionen Tiere, die, möglichst billig produziert, für den Profit leben und sterben. Umweltschäden am Klima, an Boden oder Grundwasser werden dabei sehenden Auges in Kauf genommen.

Auch der Deutsche Tierschutzbund fordert einen Systemwechsel und die „Abkehr vom nicht krisensicheren System der Schweine-Produktion“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Maßnahmen, wie die von Bundesministerin Julia Klöckner geforderte Schlachtung an Wochenenden und Feiertagen lösten das Problem jedoch nicht langfristig.
Die Schlachtkapazitäten zu erhöhen, sowie die Herstellung eines normalen Arbeitsbetriebs unter Arbeitsschutzbedingungen und Hygieneregeln werde auf Dauer gesehen nicht wirklich helfen. „Der Systemwechsel, der insbesondere mit der Reduzierung von Beständen einhergehen muss, ist lange überfällig und dringender denn je, da ein Ende der Schwierigkeiten nicht absehbar ist. Die Ferkelerzeugung muss jetzt heruntergefahren werden.

Ebenso braucht es eine Flächenbindung der landwirtschaftlichen Tierhaltung und eine Abkehr von der Exportorientierung“, fordert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Er sieht die Politiker in der Pflicht und sieht eine zukunftsfähige Entwicklung nur in einer „resilienten Form von Landwirtschaft“.
Und seien wir mal ehrlich: Wollen Sie, liebe Leser, Fleisch „genießen“, das zwar billig ist, aber von total gestressten Tieren stammt? Warum muss denn unbedingt immer wieder Fleisch auf den Teller kommen?

Im Grunde haben wir Verbraucher es doch in der Hand, dass weniger Tiere leiden. Der Einkauf bei den Produzenten in der Region wird uns doch leicht gemacht, dort haben die Tiere noch ein Leben! Noch besser ist es, ganz auf Fleisch zu verzichten, denn die vielen Fleisch-Ersatzprodukte auf Basis von Weizeneiweiß oder Soja werden immer schmackhafter und vielfältiger.

Fakt ist: Corona und andere Zoonosen sind nicht zufällig die Ursache dafür, dass die Tötungsmaschinerie ins Stocken geraten ist, sondern eine direkte Folge des weltweiten Tierkonsums und der damit verbundenen Zerstörung von Lebensräumen, sowie der auch für die Menschen unhaltbaren Bedingungen in internationalen Schlachthöfen und Tierfabriken.