„Ein Tag im Leben des …“ Alexej Nawalny

INGRID LIEZ …

Also mal ehrlich – ich dachte immer, Gräueltaten, die von politischen Machthabern angeordnet werden, beschränkten sich heutzutage auf Länder wie Eritrea, Afghanistan, Nordkorea oder Myanmar.

Weit gefehlt, erst in den letzten Wochen wird so manchem endlich klar, dass auch Russland in die Reihe gehört. Hätte man das nicht früher erkennen können? Man denke an die Spielchen, die Wladimir Putin mit seinem „Freund“ Dmitri Medwedew seit 2008 um die Posten des Präsidenten und Ministerpräsidenten betrieb, um die Macht in seinen Händen zu erhalten, man denke an den russischen Angriff auf Georgien oder die Annexion der Krim. Hätte der Westen nicht da schon auf das Heftigste sanktionieren sollen?

Die Hände gebunden sind dem Westen im Hinblick auf den unbequemen Oppositionspolitiker und Regimekritiker Alexej Nawalny, verheiratet, zwei Kinder, Jurist, Aktivist, Dissident und Dokumentarfilmer. Er fühlt sich demokratischen Grundsätzen verpflichtet, gründete bereits 2011 die mittlerweile verbotene „Stiftung zur Korruptionsbekämpfung“, die in Sachen russische Korruption ermittelte und diese publik machte.

Als Kandidat bei der Moskauer Bürgermeisterwahl 2013 bekam er 27 % der Stimmen und gilt seitdem als Anführer der „Anti-Putin-Opposition“. 2018 wollte er auch für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren, wurde aber nicht zugelassen. Nicht erst seit Juni 2017, als er just an Putins Geburtstag (7. Oktober) landesweite Proteste gegen Korruption organisierte, ist er dem Machthaber ein Dorn im Auge.

Im August 2020 wurde Nawalny Opfer eines Giftanschlags mit dem Nerven-Kampfstoff Nowitschok. Er wurde in die Berliner Charité ausgeflogen, wo er sich erholte.

Leider entschloss er sich, nach Russland zurückzukehren, denn er könne seinen politischen Kampf nur von dort aus führen, um seinem Land zu helfen, wie er sagte. Fatal: Er wurde gleich auf dem Flughafen verhaftet und per Eilentscheid zu 30 Tagen U-Haft verurteilt – aus fadenscheinigen Gründen.

Obwohl in Russland im ganzen Land protestiert wurde, verurteilte ihn eine kurz zuvor ausgetauschte Richterin, dem Antrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft folgend, zu dreieinhalb Jahren Lagerhaft. Alle Proteste verpufften, auch die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Während der Haft verschlechterte sich der Gesundheitszustand Nawalnys wieder drastisch. Mehrmals beschwerte er sich, dass er nachts stündlich durch einen Wachmann geweckt werde (Folter durch Schlafentzug). Er trat in einen Hungerstreik, um eine Behandlung durch einen Arzt seiner Wahl durchzusetzen.

Vor wenigen Tagen nun wurde Nawalny wegen Betrugs, Veruntreuung von Geldern durch seine Anti-Korruptionsstiftung und Missachtung des Gerichts zu neun weiteren Jahren in einem noch strengeren Straflager sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt. Seine Anwälte wurden nach dem Prozess für kurze Zeit verhaftet.
Allein das Wort „Straflager“ macht deutlich, wes Geistes Kind das russische System (wieder) ist. Wie konnte es nur so weit kommen?

Sind die westlichen Staaten bzw. die EU mit Schuld daran, dass auf dem Boden Europas (auch Russland gehört bis zum Ural zu unserem Kontinent) wieder ein totalitäres Regime entstehen konnte, indem Geschäfte und Geldverdienen mit russischem Öl und Gas über alles andere gestellt wurden?

2021 wurde Nawalny in Abwesenheit der Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments verliehen. Andrej Sacharow war ebenfalls ein vom Staat gepeinigter Dissident, aber des Sowjet-Regimes. Dissidenten werden gerne auf russischem Boden totgeschwiegen.

Deshalb sollte man sie keinesfalls vergessen, denn dann ist ihre Existenz umsonst. Dann endet auch Alexej Nawalny ähnlich wie Iwan Denissowitsch in Solschenizyns berühmtem Buch.

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