In dieser Ausgabe erzähle ich von Hiwa, einem Kurden, der vor zwei Jahren vom Westiran nach Deutschland geflohen ist. Seit über 1,5 Jahren lebt der 42-Jährige zusammen mit seiner 10-jährigen Tochter, seinem Bruder, seiner Schwägerin und seinen Nichten in Kallmünz. Im Iran hatte Hiwa als veterinärmedizinischer Laborwissenschaftler ein mittelständisches Unternehmen geleitet. Doch im März 2023 musste Hiwa all das, was er sich in seiner Heimatstadt Mahabad aufgebaut hatte, zurücklassen.
„Ich habe mein ganzes Leben verloren“, erzählt er traurig. Seine Flucht nach Deutschland begann als Urlaub – er und seine Tochter wollten eigentlich nur zwei Wochen in Istanbul verbringen. Aber während ihrer Abwesenheit spitzte sich die Lage in seiner Heimat zu. Hiwa bekam einen Anruf von seinem Bruder Hawre: „Komm nicht nach Hause zurück!“, warnte dieser ihn. Hiwa und sein Bruder hatten sich an den Protesten gegen das Regime beteiligt, die durch die Ermordung Jina Mahsa Aminis ausgelöst wurden. Die junge Kurdin war wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Hidschab-Pflicht festgenommen und zu Tode geprügelt worden.
Probleme mit dem Regime hatte Hiwas Familie aber auch schon vor den Protesten immer wieder gehabt – so wie viele andere kurdische Familien auch. Richtig bedrohlich wurde die Lage, nachdem ein guter Freund von Hiwa und Hawre verhaftet wurde – die Brüder wussten, sie würden die nächsten sein und handelten schnell: Sie besorgten sich, ihren Töchtern und Hawres Frau (Hiwa ist geschieden) gefälschte Pässe und Flugtickets in die serbische Hauptstadt Belgrad. Insgesamt gaben sie 40.000 Euro für die Flucht aus. Hawre und seine Familie flogen kurz darauf vom Iran aus, Hiwa und seine Tochter würden einige Tage später von Istanbul aus nachkommen.
Bis zu seiner Ausreise hatte Hiwa große Angst davor, verhaftet zu werden. Die Türkei und der Iran standen sich sehr nahe und es war durchaus denkbar, dass er hier noch in die Fänge des Regimes geriet.
Er wechselte täglich das Hotel und benutzte kein Mobiltelefon. Zugleich versuchte er, für seine Tochter stark zu sein – sie sollte sich keine Sorgen machen.
Als Hiwa und seine Tochter mit ihren gefälschten Papieren in Belgrad ankamen, wurden sie sofort festgenommen. Er wurde ins Gefängnis gebracht und seine Tochter kam in eine Pflegefamilie. „Das war die schlimmste Zeit meines Lebens“, meint Hiwa über die 13 Tage, die er wegen der unerlaubten Einreise in Haft verbrachte. Ein Anwalt konnte schließlich seine Freilassung bewirken. Er und seine Tochter waren wieder vereint.
Über einen Kontakt wurde die Weiterreise organisiert, die eigentlich in Frankreich hätte enden sollen. Der Fahrer, der sie kurz nach der österreichisch-deutschen Grenze hätte aufsammeln sollen, kam jedoch nie – und so strandeten sie in Deutschland.
Nach einem kurzen Aufenthalt in der Deggendorfer Sammelunterkunft wurden sie im Regensburger Anker-Zentrum untergebracht. Während der drei Monate, die sie dort verbrachten, wurde der Vater in der Heimat immer wieder verhaftet, was ihnen große Sorgen bereitete. Hiwa wurde außerdem schnell bewusst, dass er selbst hier in Deutschland noch unter Beobachtung des iranischen Regimes stand und er aus Schutz der Familie im Iran nichts Politisches auf Social Media posten durfte. Deshalb wollte Hiwa auch, dass ich in diesem Artikel seinen Namen ändere – aus Angst um seine Familie.
Inzwischen leben die Brüder und ihre Familien in einer gemeinsamen Wohnung in Kallmünz. Hiwa schließt bald den B2-Sprachkurs ab. Seine Geschichte hat er mir in fließendem Deutsch erzählt. Er spricht außerdem Persisch, Kurdisch und Englisch. Nach zwei Jahren in Deutschland noch immer von Sozialhilfe leben zu müssen, nagt sehr an ihm: „Ich habe, seit ich 16 Jahre alt bin, immer gearbeitet, auch während des Studiums.“ Er hat bereits unzählige Bewerbungen geschrieben – bisher leider ohne Erfolg. Wer Hiwa eine Stelle anbieten kann, darf sich gerne bei mir melden (hello@storiesofnearandfar.com).