Macht-Spiele von Menschenkindern

INGRID LIEZ …

Als Kind habe ich sehr gern mit kleinen Holzieren gespielt. Ich baute für meine Elefanten, Giraffen, Pferde und Hühner Gehege mit bunten Klötzchen, sie bekamen Futterraufen und Schlafstellen. Sie besuchten sich gegenseitig und lebten glücklich miteinander.

Dann erfand ich eine Geschichte: Ein schrecklicher Sturm kam auf oder eine feindliche Macht rückte an die Grenzen ihres kleinen Landes. Der Wind fegt über die Siedlung, alle Klötzchen fielen übereinander, Angst und Schrecken verbreiteten sich unter den Tieren. Sie machten sich zur Flucht bereit.

Ich ließ die Kälbchen „Mama“ schreien, manche Küken verloren ihre Eltern, so manches Zebra wurde von einem Abgrund verschlungen. Sie marschierten durch unwegsame Wälder aus Stuhlbeinen und hatten viele Gefahren und Hindernisse zu bewältigen, sie bestiegen wacklige Schiffe aus kleinen Untertassen und gerieten auf den riesigen Meeren breiter Teppiche in Seenot. Viele wurden am Ende gerettet, es kamen so oft meine Hände von oben und zogen sie aus Sümpfen und Schlünden, sie entkamen durch die Macht von Engeln oder Göttern in Form von Pfannenwendern oder Plastikdosen. Alles kindliche Phantasie, oder?

Die Flüchtlinge im ägäischen Raum lassen diese Erinnerung aufleben. Nicht nur in den Augen vieler Machthaber, sondern für uns alle – als kleine bunte Bilder in unseren Fernsehern und digitalen Geräten – scheinen sie nichts weiter als winzige Spieltiere in einem grausamen Spiel zu sein. Sie dienen der Erpressung und werden wie Schachfiguren hin und her geschoben. Sogar manche Medien beteiligen sich zum Zweck der Manipulation – sie zeigen nur die jungen Männer – zur „Abschreckung“ – oder Familien mit Kindern, um an die Türen unserer Herzen zu klopfen. Dabei ist die Wahrheit einfach: Es sind verzweifelte Menschen. Der türkische Diktator schiebt sie Richtung Westen, um mehr Geldmittel zu bekommen. Auch soll die Nato weich werden und ihm in seinem wahnwitzigen Krieg gegen Syrien beistehen.

Die EU ist schwach und kuscht vor dem Rechtsnationalismus. In Deutschland hat man Angst vor der nächsten Wahl, denn viel zu viele Deutsche tendieren ebenso dahin, die Rechten zu wählen. Sie sind oft aufgepeitscht von den Medien, die wegen Einschaltquoten und Verkaufszahlen allzu gerne über das Negative berichten und darüber, dass Geflüchtete hierzulande sich schlecht benehmen oder kriminell werden. Eins greift ins andere: In einem Teufelskreis steigert die Ablehnung die Aggression und den Rückzug der Zugezogenen. Der deutsche Mittelstand und die bereits in den Hartz-IV-Schlund Gerutschten werden immer ärmer, weil hier angeblich nicht genügend Geld zur Verfügung steht, und Armut erzeugt Bitterkeit und Hass, der sich nur zu gerne auf einen ausgewählten Sündenbock richtet.

Aber nicht nur die EU ist schwach – Deutschland ist schwach und opfert für Hochrechnungen und wirtschaftliche Belange die Menschlichkeit. Allein der humanitäre Gedanke müsste uns sofort helfen lassen und wenigstens einen Bruchteil dieser Menschen an der Grenze und in den zahllosen Lagern aufnehmen. Wir müssten uns mit aller Macht dafür einsetzen, die Türkei zu stoppen und den Krieg in Syrien zu beenden – oder die Situation in Afghanistan zu ändern -, denn nur dann enden die Flüchtlingsströme, nur dann können die Menschen in ihre Heimat zurückkehren.

Wir dürfen uns nicht erpressen lassen, denn das hat uns schon beim „Flüchtlingsdeal“ mit Erdogan unwürdig werden lassen. Aber Geld, Erdöl und Machtspiele zählen immer wieder mehr – und im Grund genommen bleiben wir Menschen, die Diktatoren natürlich eingeschlossen, immerzu die Kinder, die mit Holztieren spielen und nach Belieben retten oder verderben können.

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