„Pullis gegen Putin“?

INGRID LIEZ …

Fassungslos machen die Gräueltaten von Butscha. Es ist nicht bekannt, ob die brutale Folterung und Ermordung einfacher Bürgerinnen und Bürger auf einem „Laisser-faire“ der russischen Befehlshaber beruht, oder ob die Massaker von ganz oben angeordnet wurden – als Racheakt.

„He’s a butcher“, sagte US-Präsident Biden über Wladimir Putin, und dieser könne doch „for God’s Sake“ nicht an der Macht bleiben. Schwer gerügt wurde er dafür, musste seine Aussagen abschwächen. Und doch hat er Recht.

Und wieder werden wir Wohlstand-verwöhnten Mitteleuropäer auf die Kernfrage hingedrängt: Sind wir bereit, für die Beendigung des Ukraine-Kriegs, für das Ende des unermesslichen Leids eines unserer Nachbarvölker, für das Gestoppt-Werden eines „kriegsgeilen Verbrechers“ etwas von unserem Wohlstand zu opfern?

Viele wären bereit, die Gasheizung runterzudrehen, auf viele Produkte zu verzichten, seltener Auto zu fahren. Doch damit ist es nicht getan: Die Lage in der Wirtschaft könnte prekär werden. Oder doch nicht? Alle fordern eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, ein komplettes Öl, Gas- und Kohle-Embargo steht wieder im Raum. Und wieder ist Deutschland der „Bremser“. Man fürchtet einen Absturz der deutschen Wirtschaft, obwohl sich die Aussagen darüber widersprechen. „34% seines Erdöls importiert Deutschland aus Russland. Beim Erdgas waren es 55%.
Auf über ein Drittel dieser Gaslieferungen ist die Industrie angewiesen – entweder als Energielieferant oder als Rohstoff zur Weiterverarbeitung“, schreibt Jonas Grünwald am 22.3.22 auf www.mdr.de.

Mittlerweile hat man die russische Gaseinfuhr bereits auf 30% gedrosselt. Um Existenzen ginge es jedoch vor allem in der mitteldeutschen Industrie, wie zum Beispiel bei den Chemiewerken, in denen Gas als Rohstoff dient – etwa für die Produktion von Stickstoffdünger, der dann der Landwirtschaft fehlt. Kein Gas – das setzt eine Kette negativer Impulse in Gang – in etlichen industriellen Zweigen.

Offenbar ist man wissenschaftlich nicht in der Lage, die End- oder Langfolgen abzusehen – ist das ein Grund, von vorneherein „nein“ zu einem Totalembargo zu sagen, angesichts von Butscha, Mariupol und anderen ukrainischen Städten?

Welche Unternehmen während eines Embargos noch wann wieviel Gas bzw. Öl erhalten – kann man da nicht differenzieren und die Verluste durch Staatsausgaben weiter kompensieren? Und warum muss die Versorgung der Privathaushalte „vorrangig gesichert sein“?

Rationierung, stundenweises Heizen usw. und im Hintergrund selbstverständlich das unbedingte Forcieren des Ausbaus der Nutzung alternativer Energieträger wären hier Stichwörter. Wieder liegt „des Pudels Kern“ im Verzicht auf Bequemlichkeit, auf unbegrenzte Verfügbarkeit. Und dabei dürften nicht wieder die Ärmsten in der Bevölkerung das meiste tragen.

Verzicht auf hohe Gehälter und Gewinne in der Industrie gehören unabdingbar dazu. Jetzt ist eben nicht mehr die Zeit für Gewinne! Die aus dem Embargo folgende Rezession wäre nicht so dramatisch wie während der Corona-Pandemie, das zeigten Modellrechnungen, schreibt www.derstandard.de am 28. März. Worauf warten wir dann noch?

Estland, Lettland und Litauen haben bereits den Energiehahn Richtung Russland zugedreht. Wollen wir Putin wirklich die Genugtuung gönnen, UNS vielleicht bald den Gashahn zuzudrehen?

Bei uns wäre der Gasverbrauch allgemein noch sicher bis zum nächsten Winter. Alternativen aus Katar oder den USA laufen bereits an.
Und so frage ich mit vielen anderen: Wann ist es genug? Wann wiegen die Beendigung von Leid und dem neuen russischen Diktator Einhalt gebieten zu wollen endlich mehr als das Geschäftsinteresse? Handeln, nicht zögern, ist gefragt.

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