Schwul sein – eigentlich ganz normal …

INGRID LIEZ …

„Hau doch ab, du alte Schwuchtel!“ – Wieso werden heutzutage homosexuelle Menschen immer noch derart beleidigt? Warum ist die sexuelle Ausrichtung der Mitmenschen für viele ein großes Problem? Geht es sie überhaupt irgendetwas an? Manche Homosexuelle outen sich, andere nicht. Für sie ist es am schlimmsten, wenn sie im engen Umfeld oder in der eigenen Familie gemobbt werden.

Am 17. Mai 2020 wurde – wie seit 15 Jahren – der internationale Tag gegen Homophobie begangen, genau gesagt gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie bzw. -feindlichkeit. Denn genau vor 15 Jahren beschloss die Weltgesundheitsorganisation: Homosexualität ist keine Krankheit. Die Transsexualität wurde dagegen erst 2018 von der WHO als „Krankheit“ gestrichen.

Bis 1969 waren homosexuelle Kontakte in der Bundesrepublik strafbar. Fast 70.000 Menschen wurden gemäß des früheren §175 verurteilt, vor allem Männer. Als ich Kind war, wohnte in der Nachbarschaft ein netter, unscheinbarer Mann, der immer allein war. Ich hörte einmal meine Eltern mutmaßen, dass der Mann ein sogenannter „175er“ sei und konnte mir darunter nichts vorstellen. So hat man damals abfällig die Homosexuellen genannt. Erst 2017 hat die Bundesregierung die damals gefällten Urteile endgültig aufgehoben. Das erlittene Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden. Meist leben die Betroffenen auch heute gar nicht mehr.

Weitere Meilensteine auf einem guten Weg wurden in den letzten Jahrzehnten zurückgelegt: Nachdem sich der damalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit 2001 öffentlich geoutet hatte, machen mittlerweile auch viele andere Politiker keinen Hehl mehr aus ihrer sexuellen Orientierung – z. B. der ehemalige Bürgermeister von Wiesbaden, Sven Gerich, oder Staatsminister Michael Roth aus Bad Hersfeld. 2001 gab es mit der Rot-Grünen Bundesregierung das Gesetz zur Eintragung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften. Die Gleichstellung der Homo-Ehe mit der Ehe zwischen Mann und Frau ließ noch bis 2017 auf sich warten. „Die Konservativen in der CDU/CSU standen lange auf der Bremse“, sagt Michael Roth dazu in einem Interview vom 18. 5. 20, nachzulesen unter www.hna.de. Und erst vor ganz kurzer Zeit wurden Praktiken verboten, mit denen Homosexuelle angeblich „geheilt“ werden können.

Und doch: Die Menschen in unserer Gesellschaft tun sich teilweise immer noch schwer mit Schwulen und Lesben. In vielen anderen Ländern ist Homosexualität immer noch strafbar – bis hin zur Todesstrafe.
Aus zahlreichen persönlichen Gesprächen weiß ich: Es ist normal, schwul zu sein! Bei Jugendlichen ist es ein Prozess, bis sich herauskristallisiert, „was“ sie sind. Angst vor der Ablehnung spielt immer eine große Rolle, besonders in Schule und Beruf und, wie gesagt, in der eigenen Familie. Da hält man lieber den Mund und sagt nicht, was Sache ist.

Besonders bei vielen Personen aus dem Nahen Osten oder oft bei sehr religiösen Menschen ist das diskriminierende Verhalten besonders ausgeprägt – Gründe hierfür wären einen eigenen Artikel wert.

Immer noch ist daher weitere Aufklärung, Information und das Darüber-Sprechen unendlich wichtig!

Der Begriff „Homophobie“ besteht aus den Wortteilen „gleich“ und „Angst“ und wurde von dem US-amerikanischen Psychotherapeuten George Weinberg geprägt.

Diskutiert wird seitdem die These, dass der Aversion gegen Schwule eine tiefsitzende, unbewusste Angst zugrunde liegt: Eine Angst einerseits vor dem Fremden, andererseits Angst vor den eigenen unterdrückten Persönlichkeitsanteilen. Das soll keine Entschuldigung sein – sollte aber in Gesprächen und Diskussionen berücksichtigt werden.

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