Tafeln in Deutschland – Vom Lebensmittel-Retter zum Lebensretter?

INGRID LIEZ …

In Deutschland gibt es mehr als 960 Tafeln. Hier werden jährlich 265.000 Tonnen Lebensmittel vor dem Wegwerfen gerettet und an Menschen in Armut weitergegeben. Etwa 60.000 Helfer*innen engagieren sich zumeist ehrenamtlich in einer der größten sozial-ökologischen Bewegungen in Deutschland. Organisiert sind die Tafeln im Dachverband Tafel Deutschland e.V. (www.tafel.de). Bisher waren es etwa 2 Millionen Menschen, denen auf diese Weise geholfen werden konnte, sich gesünder zu ernähren, denn gesunde Lebensmittel waren hierzulande schon immer teuer.

Doch jetzt kippt das System und die Tafeln schlagen Alarm. Die Armut in Deutschland ist sprunghaft gestiegen – durch Corona, Inflation, exorbitant gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Diejenigen, die ohnehin schon wenig hatten, sind jetzt noch mehr auf Unterstützung angewiesen. Durch den Ukrainekrieg kommen Tausende von Geflüchteten mit vielen Kindern hinzu, auch die Zahlen der Neuankömmlinge in Deutschland aus Afghanistan oder Syrien steigen wieder an.
Die Regierung versucht nun, mit einem angepassten Hartz-IV-Satz – „Bürgergeld“ ab 2023 – gegenzusteuern, aber reicht das? Und bis dahin? 2022 wurde Hartz IV um gerade mal 3 € erhöht.

Viele Firmen und Privatpersonen stehen durch die Energiepreise vor der Insolvenz. Werden die Tafeln jetzt vom Lebensmittel- zum Lebensretter? Und gibt es überhaupt noch Lebensmittel zu retten?

Alle Supermärkte, Discounter und Bäckereien kalkulieren jetzt sehr eng – so bleiben kaum noch etwas übrig, besonders beim Gemüse. Bei der Tafel selbst wird der Transport durch die hohen Benzinkosten zum Problem. Und die Spenden allgemein gehen zurück, weil die Menschen nicht mehr so viel zu geben haben. Es fehlt also an allem und auch am Personal, das die Mehrarbeit durch mehr Kund*innen kaum noch stemmen kann.

Mal ehrlich: Wo soll das hinführen? Der Tafel-Dachverband fordert, dass sich der Staat nun an den Kosten beteiligen muss. „Es ist falsch, dass sich Städte und Kommunen bundesweit in der Grundversorgung Armutsbetroffener so sehr auf die Tafeln verließen. Schließlich ist die Grundversorgung von Bürgerinnen und Bürgern nicht Aufgabe der Tafel, sondern Aufgabe des Staates“, erklärt der Vorsitzende des Dachverbands, Jochen Brühl (www.mdr.de). Fakt ist jedoch auch, dass Städte und Gemeinden oft mit der Versorgung der Geflüchteten alleingelassen werden – sie sind finanziell überfordert. Bei der Tafel in Jena zum Beispiel gibt es schon lange Wartelisten.

Bei den Tafeln in Schwandorf und Maxhütte-Haidhof ist es ähnlich, das zeigt die Facebookseite. In Schwandorf werden aus 60 Märkten in der Region Lebensmittel gesammelt. Insgesamt werden 700 bedürftige Haushalte versorgt. Jetzt sind die Regale in der Tafel sehr schnell geleert – weil der Nachschub fehlt.

Am 21. September zum Beispiel konnten von 111 Haushalten, die gekommen waren, die letzten nicht mehr wie gewohnt versorgt werden. „Wir bitten händeringend um Unterstützung aus der Bevölkerung!“, so der Aufruf. „Benötigt wird alles von A-Z, etwa Nudeln, Salz, Öl, Konserven, Hygieneartikel und Windeln, Spielzeug und Geschirr, Tierfutter.“

Auch die Discounter und Lebensmittelmärkte wollen gegensteuern, der Rewe Markt hatte bis zum 22. 10. eine 5 €-Spendentütenaktion laufen. Lobenswert, doch ob die darin enthaltenen Lebensmittel – „Ja“-Produkte vom Doppelkeks über Müsliriegel, Reis und Nudeln bis zu Salzstangen und Dosensuppe – wirklich eine gesunde Ernährung unterstützen, bleibt zweifelhaft! Die bedürftigen Kinder werden sich jedenfalls gefreut haben.

Unsere Regierung ist momentan wieder mal am Besprechen, Zögern und Zaudern. Konkrete Maßnahmen, um Firmeninsolvenzen zu verhindern, Firmen, die die benötigten Lebensmittel erst herstellen – Fehlanzeige.

In Bezug auf die Grundversorgung der Bevölkerung schiebt man den Schwarzen Peter vom Bund zu den Kommunen, Ländern und Kreisen und zurück.

Kein Zögern und Zaudern mehr – schnelle, unbürokratische finanzielle Hilfe für die Tafeln, das wäre ein erster Schritt, um dem Hunger in der Bevölkerung entgegenzuwirken.