INGRID LIEZ …
Nudeln, Klopapier, Benzin – nahezu alle Güter des täglichen Gebrauchs werden auf der Straße transportiert. Ob Grundnahrungsmittel oder „Just-in-Time“-Lieferungen für bestimmte Wirtschaftsbranchen: Die LKW-Fahrerinnen und -fahrer sorgen dafür, dass die Supermarktregale gefüllt sind, dass es Benzin an den Tankstellen gibt, dass wir bekommen, was wir nach Hause bestellen. Doch mal ehrlich: Wenige andere Berufe in Deutschland haben so ein geringes Ansehen, werden so schlecht bezahlt und haben so miese Arbeitsbedingungen wie der des LKW-Fahrers. Dabei ist die Logistik-Branche systemrelevant, die Wirtschaft kann nicht funktionieren ohne Transport. Hinzu kommt, dass kaum noch Güterverkehr auf die Schiene verlagert werden kann, denn die Kapazitäten sind ausgereizt.
In Großbritannien ist die Lage bereits prekär: Der Versorgungsengpass ist Realität geworden – doch auch in Deutschland kämpft die Branche mit dem Fachkräftemangel, der seit Dezember 2018 bekannt ist (www.lkw-fahrer-gesucht.com). Schon jetzt fehlen hierzulande 60-80.000 Berufskraftfahrer*innen. Daran ändern wohl auch Fahrer-Serien im Fernsehen wie „Trucker-Babes“ oder in den 70er bis 90er Jahren abgedrehte Serien wie „Auf Achse“ mit Manfred Krug in der Hauptrolle wenig. Fakt ist aber, dass damals die Bedingungen noch besser waren, die Anerkennung in der Gesellschaft größer.
Heutzutage „leben“ LKW-Fahrer*innen sozusagen auf der Autobahn. Und da gibt es jeden Abend ein Problem: Wo stelle ich meinen Brummi ab, um eine Runde zu schlafen? Im Hessischen Fernsehen wurde kürzlich darüber berichtet, wie prekär die Lage etwa an der A3/A5 ist, die mitten durch’s Rhein-Main-Gebiet verlaufen. Alle Rastplätze oder -stätten sind hoffnungslos zugestellt. Aus Städten oder Stadtteilen in Randlage werden die Brummifahrer mit zusätzlich errichteten Parkverbotszonen verjagt. Eine Rolle spielt dort auch, dass Anwohner sich über Lärm oder Müll beschweren.
Doch die Fahrer unterliegen strengen gesetzlichen Auflagen, was die Ruhezeiten angeht. Trotzdem müssen die Güter, die sie transportieren, pünktlich am Zielort sein. Druck und Stress sind groß, die Unfallgefahr nimmt zu. Viele Spediteure engagieren osteuropäische Transportunternehmen, weil die billiger fahren, niedrigere Löhne akzeptieren. Oft sind diese LKWs mangelhaft ausgestattet, eine Gefahr für den Verkehr.
Nach Einschätzung der Gewerkschaft Verdi sind die beiden Hauptursachen für den deutschen Fachkräftemangel die schlechte Bezahlung und die Rahmenbedingungen. Der momentane britische Ausnahmezustand könnte auch bei uns in ein paar Jahren Wirklichkeit werden. 30.000 Fahrer gehen demnächst in Rente, aber nur 17.000 Berufseinsteiger rücken nach, so meldet der Merkur am 22. 11. 2021 auf seiner Website. Ein Aktionsplan des Bundesverbands Güterkraftverkehr und Logistik (BGL) soll den Beruf jetzt attraktiver machen, außerdem fordert der Verband Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum Umdenken auf. Der Plan fordert neben wieder mehr Wertschätzung auch eine Verbesserung der Parkplatzsituation und z. B. den Zugang zu sanitären Anlagen an Rampen. Sollten verschiedene Maßnahmen umgesetzt werden, könnte man auch mehr Frauen in den Beruf locken, die momentan etwa nur 2% aller Fahrer ausmachen. Was in dem Plan nicht genannt werde, so der Merkur, sei eine bessere Bezahlung: „Für Lohnerhöhungen sehen die Unternehmen keinen Spielraum, da ein beinharter Preiskampf tobt.“
Wird es der Politik gelingen, zu handeln und eine Situation wie in „Great Britain“ zu verhindern? Sägen wir nicht auch hier, wie schon beim Klimawandel, den Ast ab, auf dem wir sitzen, auf dem – in diesem Fall – unsere Wirtschaft sitzt? Die Welt der totalen Verfügbarkeit steht auf tönernen Füßen. Also mal ehrlich – der Versorgungskollaps steht vor der Tür, doch wahrscheinlich werden wir auch in dieser Hinsicht erst zu spät erkennen, dass hätte gehandelt werden müssen.