„Die Nutzung der Kernkraft bleibt ein Spiel mit dem Feuer!“

Das aktuelle LOKAL-Interview mit Altlandrat Hans Schuierer

SCHWANDORF (sr). So vieles ist anders geworden seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ausgelöst durch die akute Energiekrise steht jetzt auch eine Weiternutzung von Atomkraft als Energiequelle in Deutschland im Raum, was bei vielen Menschen große Befürchtungen auslöst.

Altlandrat Hans Schuierer und Oskar Duschinger. Foto: Duschinger

Der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) machte sogar den Vorschlag, neue Atomkraftwerke zu bauen. „Meine Formel lautet drei plus drei plus drei – drei Kernkraftwerke müssen länger laufen, drei müssen reaktiviert werden, und drei müssen neu gebaut werden“, erklärte Scheuer Ende August 2022 der „Welt am Sonntag“. Im Mai haben sich allerdings bereits 15 Bundesländer auf der Umweltministerkonferenz parteiübergreifend gegen die Laufzeitverlängerung ausgesprochen. Und doch gibt es innerhalb der Ampel-Regierung deswegen Streit.

LOKAL-Journalist Oskar Duschinger sprach mit Hans Schuierer, Symbolfigur des Widerstandes gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, über eine mögliche Reaktivierung der Kernkraft auf deutschem Boden.

LOKAL: Herr Schuierer, steht die Kernkraft in der Bundesrepublik Deutschland angesichts der dramatischen Energiekrise vor ihrem Comeback?
Hans Schuierer: Das wird nicht der Fall sein. Es kann sein, dass die Regierung eine begrenzte Laufzeitverlängerung der noch bestehenden Kernkraftwerke beschließen wird, um die Phase des akuten Energienotstands zu überbrücken. Die Lösung der Energiefrage kann künftig aber nur über die alternativen Energien erfolgen. Das sind wir der jungen Generation schuldig.

LOKAL: Rechtfertigt die durch den russischen Überfall auf die Ukraine entstandene Energiekrise die Wiederinbetriebnahme deutscher Atomreaktoren?
Schuierer: Nein, im Grunde nicht. Ich bin überzeugt, dass man mit viel gutem Willen die Krise auch mit alternativen Energien schaffen kann. Aber leider ist sich die Politik nicht einig genug, schnelle Entscheidungen in dieser Richtung zu treffen. Die Nutzung der Kernkraft ist für mich nach wie vor ein Spiel mit dem Feuer.

LOKAL: Es wird sogar schon von neuen Atomreaktoren gesprochen, die in Deutschland gebaut werden sollten.
Schuierer: Es wäre reiner Wahnsinn! Viele Menschen in unserem Land würden dagegen aufbegehren, um das zu verhindern.

LOKAL: Zahlreiche Nachbarländer haben noch Kernkraftwerke in Betrieb. Befürworter sprechen von einer „sauberen Energie der Zukunft“.
Schuierer: Die Mega-Atomunglücke von Tschernobyl und Fukushima haben doch gezeigt, wie brandgefährlich Atomkraft ist! Über die vielen verheimlichten Zwischenfälle auf der ganzen Welt will ich gar nicht sprechen. Die Kernkraft ist und bleibt eine Gefahr für die Umwelt und die ganze Menschheit.

LOKAL: In der Regierung von FDP, SPD und Grünen scheint man sich nicht einig, ob die Kernkraft denn nun reaktiviert werden soll. Was sagt denn der SPD-Mann Schuierer dazu?
Schuierer: Es darf keine neuen Kernkraftwerke in Deutschland geben. Ob die bestehenden Kernkraftwerke helfen können, die Energienot im Winter zu überbrücken, muss genauestens geprüft und überlegt werden.

LOKAL: Spielt die Meinung des ehemaligen Anti-WAA-Kämpfers Schuierer in der bayerischen SPD noch eine Rolle?
Schuierer: Die SPD-Landtagsfraktion hatte mich nach München eingeladen, um meine Meinung zum Thema Kernkraft und deren mögliche Weiternutzung zu hören. Doch niemand in dieser Diskussionsrunde möchte den Wiedereinstieg in die Kernkraft.

LOKAL: Besteht die Gefahr, dass, wenn die Atomkraft wieder Strom liefert, sie auf unabsehbare Zeit Teil der deutschen Energiewirtschaft bleibt?
Schuierer: Das ist durchaus eine Gefahr, die ich sehe. Womöglich lässt dann auch der Druck nach, verstärkt auf alternative Energien zu setzen.

LOKAL: Die Stimmung in der Bevölkerung, was die Nutzung der Kernkraft anbetrifft, scheint, je länger die Energiekrise dauert, zu kippen. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Schuierer: Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Wir, die ältere und mittlere Generation, haben doch hautnah miterlebt, welche negativen Auswirkungen die atomare Katastrophe von Tschernobyl auf unser Alltagsleben hatte. Es ist unsere Aufgabe, die junge Generation über diese Gefahren aufzuklären.

LOKAL: Was hat uns „Wackersdorf“ bezüglich der Atomkraft gelehrt?
Schuierer: Wackersdorf hat uns gezeigt, dass Menschen aufstehen und sich wehren, wenn sie sich bedroht fühlen, wenn ihre Heimat in Gefahr ist. Durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl haben plötzlich auch WAA-Befürworter starke Zweifel bekommen, ob eine WAA wirklich so sicher ist, wie es uns von den politischen Verantwortlichen in Bayern vorgegaukelt wurde.

LOKAL: Wenn die Atomkraft länger genutzt werden sollte, stellt sich wieder aktuell die Entsorgungsfrage. Wohin mit dem neuen Atommüll?
Schuierer: Dieser Punkt wurde bisher völlig außer Acht gelassen. Wir haben nach jahrzehntelanger Nutzung der Kernkraft immer noch kein Endlager in Deutschland. Wenn die WAA Wackersdorf gebaut worden wäre, hätten wir den ganzen abgebrannten strahlenden Müll hier bei uns. Welche eine horrende Vorstellung!

LOKAL: Herr Schuierer. Wir bedanken uns für dieses Interview.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner